DAS
SUCHENDE AUGE
von
Ralf Christofori
Hatte uns Marshall McLuhan noch gelehrt, daß das Medium die Botschaft
sei so konnte der unlängst verstorbene Niklas Luhmann nicht umhin,
das Medium selbst in konstruktivistischer Manier als etwas relatives zu
bezeichnen relativ zu der jeweiligen Leitunterscheidung, die man der Betrachtung
dieses Begriffs zugrundelegt. Medium, so könnte man folgern, ist
also nicht nur Malerei, Fotografie, Video, sondern weit darüber hinausgehend
auch deren Geschichte, deren Bildauffassung und die sämtlichen Sujets,
die in und zwischen Malerei, Fotografie, Video bearbeitet wurden. Anton
Henning ist in erster Linie Maler. Aber er beläßt es nicht
dabei. Als Maler ermächtigt er sich dieses umfassenden Begriffs von
einem Medium der Malerei, indem er die Perspektive ständig wechselt.
Nur wenig beeindruckt von immanenten Vorgaben, Regeln oder Autoritäten
mischt er die Karten neu, sticht immer wieder mit einem unvermuteten Trumpf,
um dann an richtiger Stelle den Joker einzusetzen. Und genau das scheint
in dieser Ausstellung zu geschehen. Selten hat ein Maler vordergründig
ambivalente Bildkonzepte und nicht zuletzt sein eigenes Konzept in so
konzentrierter Form zugespitzt. Hatte er im Museum für Moderne Kunst
Frankfurt diese Ambivalenzen als immanente Bildlösung weiträumig
aufgefächert, so funktionierte Hennings Lounge in der Leipziger Galerie
für Gegenwartskunst als räumliches Ensemble. Die Ausstellung
in der Galerie Wohnmaschine nun liest sich in diesem Zusammenhang wie
eine Verdichtung: Im vorderen Raum eine wühlende Deckenmalerei, auf
dem Boden darunter ein minimalistisches Möbel - Liegefläche
und Deckenfluter gleichermaßen. Im hinteren Raum das extreme Querformat
eines Strandpanoramas und unten zwei Videos, die beide Szenerien in bedächtiger
Kamerafahrt in Bewegung versetzen. Vor Hennings Malerei wandert das Auge,
ständig auf der Suche nach bedeutungstragenden Formen. Es tastet
das bildhafte Gegenüber (bzw. Obendrüber) ab, sucht in dem Strandbild
genauso nach Anhaltspunkten wie inden pulsierenden Kurven des Deckengemäldes.
Nie hat man den Eindruck, allesgleichzeitig visuell erfassen zu können.
Angesichts des eingeschränktenAbstandes vor dem Strandbild sehen
wir uns gezwungen, dieses vor der Wandschwebende Panorama einzig über
seine Details zu erfahren - Details, die oftmals nurmehr als zeichenhafte
Kürzel aus dem roten Bildgrund auftauchen. Das Deckengemälde
verleitet uns, den kaum faßbaren Farbraum auf einer darüber
(oder darunter?) liegenden Schlangenlinie abzufahren. Details scheinen
hier ständig zu entgleiten, die Orientierung geht unweigerlich verloren
in dem alles beherrschenden Farbraum, der dahinter (oder davor?) die Decke
zu sprengen droht.
Unten im Videoraum kommt das Auge zur Ruhe. Hier ist es die Kamera, die
sucht - sie übernimmt ihrerseits nun die Funktion des suchenden Blicks,
während das Auge starr auf die beiden Monitore gerichtet ist. Das
Medium scheint ein anderes zu sein, und doch bleibt die Auseinandersetzung
dieselbe: eine Auseinandersetzung mit dem Medium, dessen Botschaft sich
in jenem eingangs erwähnten, umfassenden Verständnis Gehör
verschafft. "The medium is a mess of messages" - bei Anton Henning
ist es das im positivsten Sinne.
Ralf Christofori, about the exhibition at Galerie Wohnmaschine, 1999
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