Weltwoche, Ausgabe 24/03  |  Kritik

Der Kopist

Von Claudia Spinelli

Anton Hennings Gemälde entstehen nach bekannten Vorlagen. Oft sind seine Coverversionen besser als die Originale.

Es gibt wenige Künstler, die so unbefangen und lustvoll mit Pinsel und Farbe hantieren wie Anton Henning (geboren 1964). Er malt viel und meist an verschiedenen Bildern gleichzeitig. Ornamentale Abstraktionen, Landschaftsimpressionen, Stillleben, Akte – die gängigen Bildtypen werden abgedeckt, und dennoch bleibt seine Handschrift unverkennbar. Der pastöse Duktus und die bunte, aber nicht grelle Farbigkeit. Lange war der «Hennling» – eine mit elegantem Schwung hingesetzte Propellerform, die an Sechziger-Jahre-Design erinnert – das Markenzeichen des Künstlers. Obwohl er sich nun von dem Signet getrennt hat, hallt es als Grundform in vielen seiner Bilder nach: in den gewundenen Farbbahnen seiner Abstraktionen und in den ornamentalen Topografien, auf denen sich die pornografischen Schönheiten seiner «Pin-ups» räkeln.

Wie viele Künstler seiner Generation arbeitet Anton Henning vorzugsweise nach Vorlagen. Und selbst bei den impressionistisch anmutenden Landschaften, die wohl im Freien entstanden sind, schwingt ein vages Moment des Wiedererkennens mit. Henning spielt mit einer Art von Ähnlichkeit, die in der Popmusik gang und gäbe ist. Bloss dass er, statt Songs neu zu interpretieren, Bilder covert. Er plündert die Archive – kunsthistorische und auch andere – und drückt den Fundstücken seinen eigenen, persönlichen Stempel auf. Und ebenso wie Coverversionen oft berühmter sind als ihre Originale, beschwört er einen Anspruch auf Einmaligkeit.

Humoristische Propellerformen

Vielleicht kann nur ein deutscher Künstler mit so viel Enthusiasmus malen, wie dies Anton Henning tut. In unserem Nachbarland ist der Status der Malerei so ungebrochen wie nirgendwo sonst. Während sich viele Kunstschaffende in den Sechzigern vom traditionsreichsten aller Kunstmedien abwandten, gelang es deutschen Künstlern wie Gerhard Richter, Sigmar Polke oder Georg Baselitz, später auch Martin Kippenberger und Albert Oehlen, malend den Anschluss an die Gegenwart zu halten. In Deutschland hatten und haben es Künstler, die malen wollen, leichter – schon immer und lange vor dem aktuellen Malereiboom. Einziges Problem: Es gilt, sich gegenüber dem gewichtigen Erbe der Vorgängergenerationen zu positionieren.

Betrachtet man beispielsweise Anton Hennings Bild «Elle» (1996), drängt sich der Vergleich mit dem 72-jährigen Altmeister Richter durchaus auf. Die Strandszene zeigt eine blonde Frau, die dem Betrachter – obwohl sie splitternackt ist – aus vollem Hals entgegenlacht. Die in kühlen Farben gehaltene Schöne scheint geradewegs einem Bildband über die Freikörperkultur der Nazis entstiegen zu sein. Diese weckt, trotz ihrer ausgelassenen Haltung, ungute Gefühle. Auch Richter hat immer wieder mit inhaltlich zwiespältigen Vorlagen gearbeitet und diese verfremdet. Sein Mittel war eine Unschärfe, die er wie einen Schleier über die fotorealistisch gemalten Motive legte. Mit der Zeit wurde diese Unschärfe, wie Hennings Malstil, zu einem Markenzeichen, das einen «Richter» erst identifizierbar machte.

Während Richter Fragen des Verhältnisses von Vorbild und Abbild, Kopie und Original mit konzeptueller Strenge und betonter Distanz umkreist, schlägt Henning einen anderen Weg ein. So sind die Fussstapfen, die über den Strand zu der Frau führen, kindliche und runde «Hennlings». Humoristisch-elegante Propellerformen, die sich wie die Füsse eines Trickfilmmonsters in den feuchten Sand gegraben haben. Ironie ist das Mittel, mit dem Henning gefährlichen Bildern die Spitze und der malerischen Tradition die Schwere nimmt.

Die grosse Einzelausstellung im Kunstmuseum Luzern zeigt einen Bilderkosmos, so vielfältig und so schön, dass man sich kaum satt sehen kann. In den süffig gemalten Szenen der «Pin-ups», die ihre malerische Sexiness hemmungslos auskosten, findet dieses Potenzial seine motivische Entsprechung. Dass Henning sein eigenes Selbstporträt ausgerechnet in einem Saal inszeniert, der nur von fleischeslustigen Damen bevölkert wird, ist natürlich Indiz für eine gute Portion Selbstironie. Und doch schwingt selbst in diesem Raum ein Anspruch mit, der sich der reinen Ironie widersetzt.

Tatsächlich ist Anton Henning ein Künstler, der sich auf der Zeitachse hin und her bewegt. Er plündert die Archive mit spielerischer Neugierde, in der sich je länger, je mehr ein System erkennen lässt. So trat er an der Ausstellungseröffnung mit wallendem Bart und dem Gehabe eines Fin-de-Siècle-Dandys auf. Die Anspielung war offensichtlich: Er war in die Rolle eines Plein-Air-Malers geschlüpft. Eines Malers also, der wie die französischen Vorbilder draussen, nach der Natur, malt. Bei einem Künstler, der meist im Atelier nach Vorlagen arbeitet, ist die Pose natürlich eine glatte Lüge. Immerhin war der Bart, den sich Anton Henning während Monaten hat wachsen lassen, so echt wie der von Gustave Courbet.

 
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